Im folgenden Jahr sandte man ein Modell der Vorproduktion über den Atlantik um am grössten Treffen dieser Art Motorräder in Sturgis, Süd-Dakota teilzunehmen. Bei der EICMA in Mailand im November wurde dann das definitive Modell vorgestellt. Trotz verschiedenen Kompromissen und Änderungen, wurde das Grundkonzept beibehalten. Am Heck kann man noch die feinen Linien mit den integrierten Rückleuchten erahnen. Hingegen wurden zwei nicht abnehmbare Seitenkoffer angebracht, beide ausgestattet mit Innentaschen. Dabei wird ersichtlich, dass die MGX-21 für längere Reisen konzipiert worden ist.
Die Front wird von einem riesigen – einem Zyklopenauge ähnlichen – Scheinwerfer dominiert. Der Kopf der monumentalen Federgabel, verdeckt fast die Hände des Fahrers. Trotz einem gross geratenen Windschutz wird man kaum vom Fahrtwind geschützt. Ausserdem hätten die unschönen abstehenden Blinker sicher im übergrossen Windabweiser Platz gefunden.
Die schlanke Linie treibt das Motorrad nach vorne. Man hat den Eindruck, dass ein Schatten wie ein Umhang dem Gefährt folgt. Der Benzintank, die Seitenkoffer und beide Schutzbleche sind mit Karbonfibern überzogen, was das leistungsorientierte, noble Erscheinungsbild hervorhebt. Das Vorderrad überrascht durch den 21 Zoll Durchmesser, aber auch durch die Karbonauskleidung im Innenteil der Felge. Die Brembo-Bremsen mit dem roten Bremskolben stechen aus dieser monochromen Szenerie heraus. Abgerundet wird das ganze mit dem ikonischen Zweizylinder-V-Motor, der die Moto-Guzzi seit langem antreibt.
Die ganze Mechanik wurde verkleidet. Kein Rohr, Kabel oder Kunststoffteil ragt heraus, nur der Motorblock und das Getriebe sind von aussen ersichtlich. Sogar die Kardanwelle – normalerweise hervorgehoben – verschwindet in der Verbauung. Die MGX-21 will nicht nur mit ihrem Aussehen verführen, nein sie soll auch angenehm zu fahren sein.
Technisch findet man folgendes unter der Karosserie: der V-Twin mit 1380 cm3 wurde von der California, der Eldorado und der Audace entlehnt. Angepasst an die Euro4-Normen entwickelt er 96 PS, was auf den ersten Blick eher wenig ist, wenn man das Gewicht ohne Benzin und Fahrer von 340 kg in Betracht zieht. Interessanterweise erreicht man einen unglaublichen Drehmoment von 121 Nm bei 3'000 U/Min, die rote Zone beginnt schon bei 7'000 U/Min.
Glücklicherweise wird der Fahrer mit dieser überbordenden Kraft nicht allein gelassen. Drei verschiedene Motoreinstellungen nehmen darauf Einfluss: Pioggia, Turismo und Veloce. Die erste Einstellung ist für regnerische Verhältnisse, die zweite für den Alltag und die dritte um das Riesending auf die Erdumlaufbahn zu schicken. Sicher ist dies etwas verrückt, aber durchaus von ihrem Psychiater empfohlen. Ausserdem ist die MGX mit einer dreistufigen Traktionskontrolle ausgerüstet, die vom hauseigenen brandneuen Ride-by-Wire System gesteuert wird.
Beim erstmaligen Einklappen des Seitenständers fühlt man jedes einzelne Kilo dieser 340 kg auf das linke Bein drücken. Sobald der 10°-Winkel der Senkrechten erreicht wird, verteilt sich die Masse des Gewichts auf die Räder und man erreicht ein gewisses Gleichgewichtsgefühl. Durch den langen Radstand und da das Vorderrad mehr oder weniger nicht sichtbar ist, bleiben die Manöver schwierig.
Bei 15 km/h verschwindet der Eindruck der Unsicherheit wie von Zauberhand und die Lust aufs Kilometerfressen erscheint. Der Tourist-Modus deckt die gesamte Palette Strassenarten ab. Ob bei tiefen oder bei hohen Drehzahlen, der Motor spricht ohne zu überraschen sofort an. Komfortabel auf dem breiten Sitz niedergelassen – die Knie sind etwas weiter oben als das Hinterteil – fallen die Lenkergriffe angenehm in die Hände. Weder zu hoch noch zu tief, gerade richtig. Da haben die italienischen Ingenieure einen ausgezeichneten Kompromiss gefunden.
Für ein Motorrad gemacht um zu Reisen, erscheint mir die Federung etwas zu steif. Um eine bessere Stabilität zu erreichen, wird man – sofern nicht auf einem topfebenen Belag unterwegs – kräftig durchgeschüttelt. Die Fahrt auf der Autobahn ist sehr angenehm, nur der V-Motor provoziert ein leichtes, seitliches Verschieben, falls der Lenker losgelassen wird, was dank des Tempomats möglich ist. Gesteuert mit einem Knopf, funktioniert dieser ausgezeichnet. Um den Tempomat zu deaktivieren, reicht ein leichtes Zurückdrehen des Gasgriffes, der Griff zur Bremse ist nicht nötig. Einzig das Blinken einer grünen Lampe (wie die Blinkeranzeige) stört, wenn der Tempomat eingestellt, aber nicht aktiviert ist.
Moto-Guzzi stellt ein ganzes Info- und Unterhaltungssystem auf dem Bildschirm zu Verfügung, welches sich links von der Geschwindigkeitsanzeige befindet. Gesteuert einzig mit dem rechten Daumen, erlebt man wie praktisch diese Art Eingabegerät sein kann. Ausgerüstet mit einem USB-Anschluss, Bluetooth und sogar UKW-Empfang, reisen sie mit Musik, können aber auch eine Gegensprechanlage oder ihr Mobiltelefon bedienen, ohne die Augen von der Strasse zu nehmen.