
Das Leben eines Journalisten ist wirklich nicht leicht. Nach laaaaaaangen Stunden im Flugzeug erreichen wir endlich das angenehm warme Klima Australiens um die sehnsüchtig erwartete R1 2015 auf dem Rundkurs von Eastern Creek zu testen. Die älteren Leser erinnern sich vielleicht, dass bis 1996 der MotoGP-Zirkus auf diesem Kurs einen Meisterschaftslauf austrug. Die damalige Königsklasse – 500 ccm – wurde von Loris Capirossi gewonnen.
Kommen wir zurück zum Thema: Die R1. Wir beginnen mit einem kleinen Rückblick gefolgt von einer Beschreibung der interessanten und sehr aufwendigen neuen Technologie.
Die ursprüngliche R1 erschien 1998 auf dem Markt. Ihr vergasergesteuerter Motor entwickelte bei einem Leergewicht von 177kg rund 150 PS. Die erste Weiterentwicklung kam 2002, bestückt mit einem Einspritzmotor und dank eines anderen Rahmens, einer neuartigen Geometrie. Der Motor entwickelte damals 152 PS. Zwei Jahre später konnte die Leistung auf 172 PS erhöht werden. Die Auspuffrohre wanderten aufwärts unter den Sitz und erstmalig wurde eine forcierte Luftzufuhr eingebaut. 2007 kam eine komplette Neuausrichtung. Der Motor der R1 wird von der Genesis-Technologie mit fünf Ventilen auf eine klassische Verteilung mit vier Ventilen umgestellt und die Leistung auf 180 PS erhöht. Schliesslich erscheint 2009 eine sogenannte Crossplane-Version, abgeleitet von der MotoGP Version, und 2012 erscheint erstmalig eine Antriebskontrolle, aber immer noch kein ABS.
Heute hat Yamaha seine Supersport komplett überarbeitet. Der Ausgangspunkt der heute vorgestellten Ausführung ist nichts anderes als die M1 aus dem Jahre 2012! Welche Referenz. Der Markt wird Yamaha sicher Recht geben, da die Käufer der echten Sportler – insbesondere diejenigen, die regelmässig auf einem Rundkurs zu finden sind – nach wie vor zahlreich sind. Jene, welche eher auf normalen Strassen unterwegs sind, haben sich in letzter Zeit mehr und mehr den Roadstern zugewannt, welche weniger Kraftaufwand benötigen und wo das Risiko, sich ausserhalb der immer restriktiveren Gesetzgebung zu bewegen, kleiner ist.
Beim ersten Anblick der R1 denkt man sofort an eine Rennmaschine. Noch nie war ein Serienmotorrad so nah am MotoGP Modell. Zum Vergleich: die CBR ist meilenweit von der RCV entfernt, das gleiche gilt für die GSX-R und die Panigale. Die tiefplatzierten, linsenartigen Scheinwerfer und die Lufteinlässe der R1 sind auf der gleichen Linie wie die Lichtabdeckung der M1. Eigentlich reicht es die Nummer 46 oder 99 aufzukleben um sich mit seinem Lieblingspilot zu identifizieren.
Schnell merkt man, dass die Ähnlichkeit mit der M1 sich nicht auf das Äussere beschränkt. Während der Pressekonferenz erfahren wir, dass das Entwicklungsteam der R1 von Ingenieuren, die beim Aufbau der M1 mitgewirkt hatten, unterstützt wurde. Die Zielsetzung, das Motorrad schneller und leichter zu machen und es dabei so kompakt wie möglich zu gestalten. Dazu gesellte sich eine Erhöhung der Flexibilität bei den individuellen Einstellungen. Bald wurde der erste Prototypmotor in ein Chassis der R6 montiert.
Um die 200 PS Leistung ohne dynamische Luftzufuhr zu erreichen, musste das Motorkonzept total überarbeitet werden. Um Gewicht zu sparen sind die Pleuelstangen aus gebrochenem Titan gefertigt, einzigartig für ein Serienmotorrad. Damit höhere Drehzahlen erzielt werden und gleichzeitig die Reibung reduziert wird, werden die Ventilklappen – gleich wie bei BMW – mit Sperrhebeln gesteuert. Je Zylinder „stopfen“ zwei Einspritzventile den Motor, ausserdem wurden die Luftkammern um 24% erweitert. Die letzteren haben – gleich wie beim Auspuff – eine Klappe, die sich bei 7'500 U/min öffnet. Wie man sieht wurde alles getan, den Motor dazu zu bringen, höher zu drehen und mehr Leistung zu entwickeln.
Das Gewicht der Kolben wurde um 8.5g vermindert, das scheint auf den ersten Blick wenig, nur bei 14'000 U/min macht das einen grossen Unterschied! Das Kupplungssystem wurde um 20% eingedampft, sein Durchmesser misst 7% weniger als vorher. Es besitzt ein System mit begrenzter Schlupfregelung, damit die Beschleunigungs- wie die Bremsphase gleichberechtigt funktionieren können, und das Nachlassen des Drucks auf die Kupplungsscheiben kontrolliert abläuft. Um weiter Gewicht zu sparen, ist der original eingebaute Auspuff aus Titan. Trotz der Ausrichtung der R1 auf die Rennstrecke, wollten die Yamaha-Techniker die Serviceintervalle wie bisher beibehalten.
Der Motor der R1 wurde im Gegensatz zur M1 mit einer in der gleichen Richtung wie der Motor drehenden Kurbelwelle ausgestattet. Zwar überlegte man sich, die Vorgehensweise der M1 zu übernehmen, eine Idee, die aber nicht umgesetzt wurde.
Bei der eingebauten Elektronik muss die R1 die M1 nicht beneiden. Das Herzstück ist ein IMU-Gehäuse (Inertial Measurement Unit), mit einem G-Sensor der in drei Richtungen misst und einem ebenfalls dreiachsigen Kreisel, der auch die Geschwindigkeit der Richtungswechsel berücksichtigt. Dieses System stimmt 80% mit der Ausrüstung der M1 überein und verwaltet eine Vielzahl von Fahrhilfeeinstellungen, mit Bezeichnungen wie QSS, LCS, TCS, SCS, LIF und PWR.
Die Anti-Schlupfregelung hat zwei verschiedene Einstellungsmöglichkeiten. Erstens : das TCS (könnte mit Traction Control System ausgeschrieben werden) mit seinen 9 Unterstufen, oder zweitens, es kann komplett ausgeschaltet werden. Das TCS berechnet den Unterschied zwischen den Umdrehungen des Vorderrads gegenüber dem Hinterrad und stellt jedes Rutschen sofort fest. Schliesslich berechnet das SCS eine allfällige Seitwärtsbewegung, wie bei einem plötzlichen Ausbrechen des Hecks, und bewirkt einen sofortigen Unterbruch der Zündung, um das Motorrad wieder in die Spur zu bringen, Die Reaktionszeit des SCS muss daher noch schneller sein als diejenige des TCS.
Die anderen Einstellungen bewirken folgendes: das QSS ist der Gangshifter, das LCS ist die Launch Control, das LIF Antiwheeling und das PWR kontrolliert vierstufig die Motorleistung und die Wirkung auf den Gasgriff.
Je nach eingestelltem UBS Modus, wird die Feinverteilung der Bremskraft auf die vorderen und hinteren Bremsbacken vom ABS bestimmt. Damit das Rad auf keinen Fall blockieren kann, wird beim Bremsen auf einer Geraden die Bremskraft zwischen den vorderen und hinteren Scheiben gleichmässig verteilt und lässt den Druck auf die Hinterradbremse nach und nach absinken, je mehr die Vordergabel zusammengedrückt wird. Das gleiche UBS System berücksichtigt ebenfalls die Schräglage um die nötige Bremskraft in den Kurven zu verteilen.
Die bei der R1 eingesetzten Stossdämpfer sind von KYB und wurden in Zusammenarbeit mit Yamaha speziell für die Rennpiste entwickelt. Die Teleskopgabel, mit einem Durchmesser von 43mm, hat um die Stabilität zu erhöhen, eine 25mm breite Steckachse. Wie die Stossdämpfer, ist auch sie stufenlos einstellbar.
Die Felgen werden von Yamaha in Eigenregie aus Magnesium gefertigt. Nach den Vergleichstests der Kreiselwirkung zwischen alten und neuen Rädern trat der Unterschied krass zum Vorschein, man versteht sofort, welchen Einfluss ein leichteres Fahrwerk auf das Fahren auf der Rennstrecke haben kann.
Die R1M hat im Vergleich zur normalen R1 zusätzlich ein CCU (eine Art Datenschreiber) und elektronische Öhlins-Stossdämpfer. Das CCU erlaubt nach jeder Renn- oder Trainingssitzung, das Herunterladen aller Daten, wie die Zeitspanne des Gasgebens, das Eingreifen der Anti-Schlupf-Regelung, das Antiwheeling usw. Da es auch mit einem GPS ausgerüstet ist, werden auch automatisch alle erreichten Rundenzeiten und Fahrwege aufgezeichnet. Das CCU ist auch für die normale R1 als Option erhältlich.
Die elektronischen Öhlins-Stossdämpfer können mittels eines Scrollrades auf der rechten Seite des Lenkers eingestellt werden. Bei der R1M hat es drei vorprogrammierte Stufen, was für die meisten Benutzer ausreichend ist. Dazu gesellen sich drei frei wählbare Einstellungen. Dank dieser elektronischen Hilfe wird die Gabel beim Bremsen härter und die Stossdämpfer passen sich durch Druckregulierung der zunehmenden Geschwindigkeit an. Als Beweis wurden uns die elektronischen Yamaha-Daten gezeigt, die auf dem Kurs von Eastern Creek aufgezeichnet wurden. Auf einer Runde griff das System nicht weniger als 39 Mal massgeblich in die Federung ein, eine unglaubliche Fahrhilfe.