
Sie erscheint in einem neuen Kleid, ohne Chrom aber mit viel Schwarz. Überall? Fast. Das ganze Chassis, die mehrspeichigen Räder, der kurze Auspuff mit seinen Rohren, der Lenker, die Radverkleidungen, die Hinterradschwinge und der Antriebsstrang sind in schwarz gehalten. Nur der obere Teil der vorderen Stossdämpfer zeigt Chrom und der Benzintank ist rot glänzend. Will man damit die Sinne wecken?
Der quer eingebaute V-Twin sticht sehr ins Auge. Die zwei schwarzen Zylinder klaffen auf beiden Seiten des Tanks auseinander. Nur die Enden der Luftflügel sind glänzend poliert.
Das gleiche gilt für das gesamte Gehäuse des eindrucksvollen, grossen Getriebes. Die Audace ist um den Motor gebaut, alles andere scheint nebensächlich. Diese Ansammlung von rohem, grobem Testosteron lässt keinen kalt.
Bei näherem Hinsehen bemerkt man die gute Verarbeitung. Diese Guzzi bestätigt in keiner Weise das Vorurteil, dass italienische Motorenbauer nur gute Designer sind und bei der Verarbeitung immer wieder Abkürzungen nehmen und die Detailarbeit vernachlässigen. Auch heute noch kann man bei italienischen Diven offenliegende Drähte und Steckverbindungen finden...
Besonders gefallen die Karbonradabdeckung am Vorderrad, der gerade Sportlenker, die riesige 200mm breite Wurst am Hinterrad, die grossen Scheibenbremsen mit einem Durchmesser von 320mm umrahmt von radial fixierten Brembo-Bremszangen, die Bremsschläuche aus geflochtenem Stahl, das spezielle Design der Felgen, die durch die im Schwingarm integrierte Kardanwelle zur Geltung gebracht werden, die sich verjüngenden kurzen Auspuffrohre, die hinteren hydraulischen Federbeine mit separaten Ausgleichsbehältern, der einfache runde Scheinwerfer... Kurz und bündig, die Audace ist wirklich gelungen.
Der grosse Kochkessel der Audace unterscheidet sich in keiner Weise von der California. Es handelt sich um den berühmten, quereingebauten, 90° offenen V-Twin 1400 Motor. Diese Bauweise ist das Marken- und Erkennungszeichen von Guzzi. Beim Durchlesen der technischen Angaben erscheinen die angegebenen 96 PS für die Statur der Audace etwas mager zu sein. Dem ist aber nicht so! Das Drehmoment macht den Unterschied. Die maximalen 120Nm werden bei 2'750 U/min erreicht, die Kraft steht schon bei kleinsten Drehzahlen zur Verfügung. Die perfekt ausbalancierte 6-Gangschaltung erlaubt energische Beschleunigungen. Die von Guzzi bei der Audace eingebaute Traktionskontrolle ist nicht nur ein Verkaufsargument, sondern ein absolutes Bedürfnis.
Normalerweise bedeutet eine Traktionskontrolle das Vorhandensein eines Ride-By-Wire Gasimpulses. Selbstverständlich ist das auch bei der Audace so. Sie ist mit drei möglichen Fahrmodi ausgerüstet: Rain, Touring und Veloce. Der erste Modus begrenzt das Drehmoment, beim zweiten wird die Verteilung von Drehmoment und Leistung sanft erhöht und im dritten wird das Biest freigelassen und zeigt den wahren Charakter einer Audace.
Das Ride-by-Wire System steuert die Einspritzung mit Bravour. Es gibt keine Aussetzer oder Durchhänger bei tiefen Drehzahlen. Das Wissen der Piaggio-Gruppe, zu der die Marke aus Mandello del Lario gehört, dürfte dazu beigetragen haben, diese Technologie zu meistern.
Ausserdem befindet sich am Lenker ein Schalter für die Cruise-Kontrolle damit die Ausfahrt noch bequemer wird.
Kommen wir nun zum Komfort. Die Audace verwöhnt ihre Passagiere. Dem Fahrer steht ein grosser, umgreifender Sitz zur Verfügung, der Beifahrer muss sich mit einem dicken Schaumstoffblock zufrieden geben. Aus ästhetischen Gründen würde ich den Beifahrersitz weglassen, auch wenn er mit viel Liebe zum Detail rot umnäht und der Namenszug Moto Guzzi eingeprägt ist.
Die Sitzposition ist für einen Cruiser sehr bequem. Mein Rücken wird nicht zu stark nach vorne gedrückt und so ermüde ich nicht schon nach wenigen zurückgelegten Kilometern.
Wir setzen unsere Ausfahrt fort und haben weiterhin grossen Spass. Man amüsiert sich den Zweizylindermotor bei tiefsten Drehzahlen vorwärts zu peitschen. Die beiden Auspuffrohre produzieren einen anhaltenden heiseren und markanten Ton und dies obwohl sich die Motorentwickler den drastischen Lärmvorschriften unterwerfen mussten.