
Der Mythos von Ducati basiert auf der Liebe zu Motorradrennen. Das verbissene Suchen nach (noch mehr) Leistung und Geschwindigkeit ist der heutigen Menschheit in die Wiege gelegt worden. Heute geht in unserer Gesellschaft alles für jeden schnell, ja sehr schnell. So schnell, dass man schon lange vergessen hat, was Geschwindigkeit eigentlich ist. Gemäss Wikipedia wird die Geschwindigkeit wie folgt definiert: „Geschwindigkeit beschreibt, wie schnell und in welcher Richtung ein Körper oder ein Phänomen im Lauf der Zeit seinen Ort verändert“. Je kürzer die Zeit ist, die der Körper (die Panigale) benötigt um von A zu B zu gelangen, desto höher ist die Geschwindigkeit und entwickelt dabei diese Freude und Lust beim motorradfahrenden Menschen.
Natürlich hat Ducati über die Jahre ihre Palette von Motorrädern erweitert, die nicht nur für die Rennstrecke taugen. Die Geschichte der Marke basiert aber nach wie vor auf sportlichen Maschinen mit denen Rennen gewonnen werden sollen. Durch die Vielfalt von Marktteilnehmern haben alle etwas an Marktanteilen verloren, trotzdem versuchen die Motorradhersteller auch heute noch, die „schnellste“, die „effizienteste“ und die „schönste“ zu bauen. Ducati schafft es regelmässig beim Fussvolk mit emotional ansprechenden Maschinen in der dritten Kategorie zu punkten.
Beim Anblick der Traube von Panigales, die nur darauf wartet auf die bekannt schnelle Rennstrecke von Dijon-Prenois geführt zu werden, habe ich Mühe meine eigenen Emotionen unter Kontrolle zu behalten. Der Einladung von Ducati Suisse zum Ducati4You-Tag folgte AcidMoto mit Begeisterung. Die vereinzelt fallenden Schneeflocken und eine Temperatur von nur 6° C an einem trüben Tag im April verstärkten die Nervosität der Testfahrer noch zusätzlich. Schliesslich wartet eine Bestie mit 205 PS darauf, gebändigt zu werden. Uuuupppps!
Ja, schön ist sie wirklich, diese Panigale. Das traditionelle Rosso Corsa Kleid bringt die schlanke Linie voll zur Geltung. Die Leichtigkeit des Hecks wird mit einem kleinen Radschutz aus Karbon vollendet. Die ganze Linie spricht für sich selbst, unnötig irgendwelche Worte darüber zu verlieren. Ich bin beim Probesitzen überrascht von der Kompaktheit der Maschine. Der technische Vorschritt erlaubt es heute, die Leistung eines Superbikes von 2006 in das Volumen einer Moto2 einzubauen.
Hinter der Verschalung verbirgt sich der mythische L-förmige Zweizylinder von Ducati. In dieser Superquadro-Auslegung werden mit dem Aufbohren des Hubes die gleichen Leistungen erreicht wie bei einem 4-Zylinder Supersportler. Vollgestopft mit Drehmoment wird der Motor vom letzten Schrei von elektronischen Systemen (entwickelt in Zusammenarbeit von Ducati mit Bosch) unterstützt, damit die Leistung auf optimale Weise benutzt werden kann.
Bitte festhalten! Es beginnt mit drei verschiedenen Fahreinstellungen: Race, Sport und Wet, damit das Fahrverhalten der Twin den Gegebenheiten angepasst werden kann. Mit dem Up & Down Quickshifter System kann man, einmal gestartet, das Kuppeln – auch abwärts – vergessen. Das Anti-Wheeling und die Motorbremskontrolle erlaubt das bestmögliche Hinein- und Rausfahren in den Kurven. Die Öhlins Smart EC Federung wird elektronisch gesteuert und nimmt ebenfalls die senkrechte und waagrechte Neigung des Fahrzeuges in Betracht, damit wird auch das Anti-Wheeling und die Motorbremse beeinflusst. Natürlich ist die Panigale auch mit ABS und Traktionskontrolle ausgerüstet. Verständlich, dass die Gebrauchsanleitung für alle Motoreinstellungen dicker ist als das Sitzpolster des Einsitzers.
Mit den Knöpfen am Lenker meistert man die meisten Einstellungen, die ausserdem auch als Auswahl auf dem riesigen und farbigen TFT Bildschirm zur Auswahl stehen. Damit man sich auf das Wesentliche – das Fahren – konzentrieren kann, wird im Race Modus der Bildschirm vor Allem mit der Drehzahlanzeige gefüllt. In der Zwischenzeit dürfte jeder Zweifel beseitigt sein: „Die Panigale S ist gemacht für die Rennstrecke, sich mit der Stoppuhr zu messen und jedem Gegner Fersengeld zu bezahlen. Zündschlüssel drehen, auf die Strecke rollen und... Gas geben!“
Das stetige Auf und Ab auf der rasanten Dijon-Prenois Rennstrecke verlangt vom Fahrer zwei solide Beine. Sie ist auch das ideale Gelände um eine 1299S kennen zu lernen. Ausser der Aussentemperatur und dem Fehlen von Heizdecken konnte mich nichts vom Besteigen dieses Wunderwerks abhalten. Rein gar nichts.
Die 6° C und die Spuren von Morgentau am Rande der Piste liessen mich mit Vorsicht an die Aufgabe gehen. Ich wählte den Regenmodus und sämtliche technischen Hilfsmittel auf „ON“. Eine gute Wahl während dem Kennenlernen der Strecke, bevor der vom Organisator gestellte Vorfahrer das Tempo verschärft um etwas Wärme in den Tag zu bringen. Auf der Start- und Zielgeraden, schalte ich mittels Knopf am Lenker, in den Sportmodus... Und meine innere Wärme steigt um einige Grade! Vorerst bleibt die Reaktion auf das Drehen am Gasgriff, dank der Traktionskontrolle, gedämpft, die zur Verfügung stehenden Pferdestärken fliegen mir aber mit einem ohrenbetäubenden Grollen um die Ohren. Es scheint als ob die lange Gerade sich halbiert hat und ich bin dankbar, dass ich am Ende angekommen, bremsen darf.
Autsch. Wie soll ich die Bremsleistung der Panigale S in Worte fassen. Schwierig! Sie bremst nicht, sie lässt die Zeit stillstehen. Die beiden Brembo M50 Backen verklemmen sich in der vorbeifliegenden Landschaft und lassen sie so plötzlich anhalten, so dass der verdutzte Fahrer fast vom Gefährt fällt. Bis zum Ende der Geraden klebte ich noch am Hinterrad des freundlichen Vorfahrers. Nun ist er um die Kurve verschwunden und lässt mich allein mit meinem Staunen, gleichzeitig aber auch mit Entzücken. Bisher konnte ich mir nicht vorstellen, dass sich ein Bremsvorgang so abspielen könnte.
Mit den sich folgenden Runden vertraue ich mehr und mehr den elektronischen Hilfen. Das Anti-Wheeling reduziert die Kraft bei den Kurvenausfahrten des bergigen Kurses, nachher übernimmt die Traktionskontrolle, während das Bosch ABS 9.1 MP sich darum kümmert mich beim Bremsen auf den zwei Rädern zu halten. Das Resultat ist verblüffend: Nach der ersten turbulenten Testsession wurde die Panigale S zu meiner besten Freundin und gab mir die nötige Sicherheit für die folgenden Sitzungen.
Präzision und Nervenkitzel
Die Pause zwischen den Track-Session reicht gerade um sich die Finger zu wärmen und die Nase zu schnäuzen. Bei leicht steigenden Temperaturen und nach dem Aufwärmen der Reifen kann sich die 1299 S beweisen. Im Race Modus und die elektronischen Hilfen um die Hälfte reduziert, reagiert das Motorrad weniger steril auf die Befehle des Piloten. Und gleich folgt die zweite Ohrfeige des ersten Tages: bei der Einfahrt zur Geraden, im 4. Gang, macht sich das Vorderrad selbständig und will Höhenluft schnuppern, gleichzeitig greift die Elektronik ein und bändigt die Leistung. Ich schalte – auf einem Rad fahrend - hoch in den Fünften. Der Zweizylinder treibt mit einem tierischen Grollen nach vorne, ohne nachzulassen oder sich zu beruhigen.
Der magische Moment verlängert sich bis zum Bremsen. Dank dem Downshift kann ich mich auf den Bremshebel auf der rechten Seite konzentrieren, den ich allmählich sachte loslasse, bis das Kabel keinen Druck mehr hat. Die Panigale lässt sich nicht beeindrucken. Mit Hilfe des ABS, verbunden mit der Neigungskontrolle, scheint das Vorderrad auf dem Boden zu kleben, während das Motorbremssystem die ideale Geschwindigkeit garantiert. Ein leichter Druck auf die Fussraste und die Maschine wirft sich ohne Mühe in die nächsten Kurvenfolgen. Das ganze immerzu begleitet von einem Oscar verdächtigen Klangteppich.
Zwischen zwei Track-Session und Händereiben – natürlich um sie aufzuwärmen – verfeinern wir die Einstellungen der elektronischen Hilfen. Die Stärke der Ducati sind genau diese vielfältigen Einstellmöglichkeiten, die aus ihr ein „A la Carte“-Motorrad machen. Damit kann man die Maschine jederzeit an sein Können, an den Zustand der Strecke oder an seine Lust anpassen. Die Grenzen sind, für einen Freizeitrennfahrer, dabei sehr weit gesetzt, aber die schöne Rote lässt sich dem Können des Fahrers jederzeit anpassen.
Das Konzept eines minimalistischen Chassis macht aus der Panigale einen Zappelphilipp, die „fehlende“ Stabilität verstärkt noch zusätzlich den Nervenkitzel. Die Maschine versucht ständig sich von den unsichtbaren Fesseln zu befreien, ohne jedoch zu weit zu gehen. Der Eindruck ist berauschend, insbesondere in einer Gruppe von Fahrern in der „Pouas Kurve“ bei leichtem Schneetreiben.
Nicht genug mit Ohrfeigen an diesem Tag. Bei der letzten Track-Session bei schüchternen Sonnenstahlen, mit meiner Begeisterung für die Maschine und wahrscheinlich Konzentrationsmangel setze ich die Maschine nach einer überoptimistischen Kurveneinfahrt ins Kiesbett. Belämmert, schockiert und niedergeschlagen muss ich zusehen, wie die Panigale S auf einem Abschleppwagen an die Boxen zurückgebracht werden muss.
Ganz plötzlich wird man in dieser Lage ganz klein, verliert seinen ganzen Stolz und findet keine Worte mehr. Die Lektion sinkt langsam ein, die Schuld liegt ganz sicher nicht bei der Ducati. Den ganzen Tag hat die Panigale 1299 S gezeigt, dass es sich um eine Renn-Ducati handelt. Ein Schmuckstück, ja ein modernes Kunstwerk, das in sich das legendäre mechanische Wissen und die neuesten Technologien vereinigt, mit dem ultimativen Ziel: schnell zu sein.
Die Panigale S ist, durch den Nervenkitzel und der ausserordentlichen Leistung, eine Ausgeburt des Motorradsports. Durch die unendlichen Möglichkeiten der Parametrisierung der elektronischen Hilfen ist sie für jeden bezwingbar. Mit ihr könnte man ohne weiteres an einem richtigen Rennen, aber auch an einem Kurs für Rennanfänger teilnehmen. Der hohe Preis dürfte sie aber eher zum gut behüteten Goldstück machen. Man sollte noch mit dem unglaublichen Glücksgefühl im Kopf – nach einem solchen Renntag – seinem Bankberater eine Besuch abstatten, um ihn zu überzeugen, bei der Finanzierung des Kaufs einer Panigale 1299 S beizustehen.... Der Mythos wird noch viele Tage andauern.