
Auf den ersten Blick erscheint die neue Brutale unverändert schön: ein einzelner, fast runder Scheinwerfer, eine minimalistische Karosserie, ein kurzes Hinterteil und eine Monoschwinge. Trotzdem sind einige Details geändert worden. Insbesondere beim Frontteil sind die Formen verstärkt hervorgehoben. Der ellipsenförmige Scheinwerfer ist ausschliesslich mit LED-Leuchten bestückt und ist mit einem Ring unterlegt, was der Diva einen speziellen Blick verleiht.
Das Profil wirkt etwas leichter und besitzt eine gewisse Ausgeglichenheit. Der massige Benzintank und Gabelkopf formen eine Einheit und leiten in einer fliessenden Linie zum Hinterteil über. Der vordere Radschutz ist eleganter und rassiger, umfasst etwas weniger das Rad und die Gabel. Der grosse Kunststoff-Windabweiser oberhalb des Scheinwerfers verschwindet ganz, somit befindet sich nur noch der Instrumentenbildschirm zwischen dem Fahrer und der Strasse. Der Seitenauspuff hat weiterhin einen tiefen Dreifachausgang, deren Enden jetzt ausgeprägter abgeschrägt worden sind. Dies erinnert unweigerlich an die Doppelröhren der Brutale 1090, wie Kanonen, die nur darauf warten, abgefeuert zu werden.
Der Sitz ist neu in zwei Teile unterteilt. Er scheint zwischen dem Benzintank und dem Rumpf zu schweben. In der Tat hat es unter dem Sitz einen handgrossen Hohlraum durch den man sehen kann, ähnlich eines Sitzes eines Motocross-Motorrades. Dies kreiert den Eindruck von Leichtigkeit. Ich nehme an, dass diese Bauweise bei anderen Modellen von Agusta ebenfalls Verwendung finden wird.
Der Sitz des Passagiers / Passagierin ist durch die schmale Form des Rumpfes vorgegeben. Unnötig nach einem Platz für einen Scheibenblocker oder eine Leuchtweste zu suchen, diesen gibt es bei der Brutale nicht. Unter dem Beifahrersitz befindet sich nur die Schraube des Passagier-Haltegriffs, der sich unmittelbar über der Rückblende versteckt. Um den Handgriff bei Bedarf zu montieren, werden die zwei mitgelieferten Inbusschlüssel benötigt. Er würde als einziges Element über den Rumpf der Brutale hinausragen, da der Nummernhalter und die Blinker auf den Hinterradaufsatz verbannt worden sind.
Für alle auf dem alten Kontinent neuverkauften Motorräder markiert das Jahr 2016 einen grossen Einschnitt. Die Einführung der neuen noch strengeren Umweltschutznormen für alle neuverkauften Motorräder im 2016 bedeutet eine enorme Umstellung für die Hersteller. Die Euro4-Normen zwingen alle Produzenten, die Konzeption ihrer Motorräder im Zusammenhang mit den Abgasen und der Lärmentwicklung zu überdenken, bevor ein neues Motorrad vorgestellt werden kann. Ducati hat sich bereits mit der 959 Panigale – die mit einem unvorstellbar hässlichen Auspuff ausgestattet worden ist – hervorgewagt. MV Agusta hat in meinen Augen die Hürde besser gemeistert.
Wie schon oben erwähnt, zwingen die neuen Vorschriften die Motorradbauer zu Zugeständnissen. Die ungezügelten Leistungssteigerungen bei jeder Neuvorstellung dürften für die nächsten Jahre vorbei sein. Bei der Brutale wirkt sich dies mit einem Verlust von 9 PS aus (116 PS bei 11'500 U/Min). Dies wird bei MV Agusta aufgewogen mit einer sagenhaften Steigerung des Drehmomentes von 20 Nm (neu 83 Nm), 90 % davon stehen schon bei tiefen 3'800 U/Min zur Verfügung. Unglaublich gut für ein Dreizylinder-Aggregat, das bis auf 12'000 U/Min hochdrehen kann!
Was wurde am Motor geändert, um zu solchen Werten zu kommen? Ganz einfach, sie haben einen schwarzen Motor statt eines grauen eingebaut. Spass beiseite, MV Agusta lässt die Kurbelwelle in die entgegengesetzte Richtung des Rades drehen. Neu sind die Zylinderköpfe, die Brennkammer, die Nockenwelle, die Luftzufuhr und das elektronische Steuergerät. Die Absicht dahinter war, eine regelmässigere Kurve des Drehmoments als diejenige des 2015er Modell, zu erreichen. Der Motor wird gleichzeitig zuverlässiger, die Serviceintervalle können gegenüber dem Vorgängermodell von 6’000 auf 15'000 km erhöht werden.
Einer der neuen Pfeile im Köcher von MV Agusta ist die – seit der Einführung des Dreizylinders - neu entwickelte Elektronik. Die Brutale wurde mit der zweiten Generation ihres Shifters (EAS 2.0) ausgerüstet, welcher jetzt neu neben dem herauf- auch das herunterschalten erlaubt. Um die Bescherung auf ungeahnte Höhen zu schrauben, gibt es dazu eine hydraulisch gesteuerte Anti-Hopping Kupplung.
Bei diesem Roadster wurde auch nicht beim Gasgriff gespart: das neueste hauseigene ride-by-wire System darf nicht fehlen. Die vielgehörte Kritik der verzögerten Gasimpulse auf den Motor dürften damit der Vergangenheit angehöhren. Ohne diese Neuentwicklung hätte die Brutale auch die drei vorgegebenen Motoreinstellungen nicht zur Verfügung. Diese beeinflussen fünf verschiedene Motor-Parameter: die Empfindlichkeit des Gasimpulses, den maximalen Drehmoment, die Stärke der Motorbremse, die Reaktivität des Motors und als letztes den Drehzahlbegrenzer. Zusätzlich besitzt das neue System eine achtfach gelagerte Antriebskontrolle.
Der Instrumentenbildschirm wurde ebenfalls erneuert. Die Informationen sind – gemäss der Wichtigkeit – von oben nach unten aufgeführt: Geschwindigkeitsanzeige und eingelegter Gang ganz oben. Zahlreiche andere Bedienungselemente stehen ebenfalls beim 2016er-Modell zur Verfügung. Leider wurde der Menüwahlknopf, der mir bei der Rivale im Jahr 2013 schon negativ aufgefallen war, nicht geändert.
Das Fahrgestell wurde ebenfalls weiterentwickelt. Die Basis ist aus Metallrohren, dazu gesellen sich ein paar Aluminiumteile am Rumpf und bei der Monoschwinge-Halterung. Mit der Verlängerung des Achsabstandes gegenüber dem Vorgängermodell um 2 cm auf 140 cm, bleibt die Maschine immer noch kürzer als jedes Konkurrenzprodukt und dürfte als der kompakteste Roadsters des Marktes Anklang finden. Der Lenkkopfwinkel öffnet auf 24.4° (anstatt 22.2°), was auf die Frontpartie stabilisierend wirkt.
Der hintere Einzelstossdämpfer von Sachs ist in der Ausdehnung, der Druckbelastung und der Grundeinstellung der Feder verstellbar. Der negative Federweg wurde erhöht, als Folge davon bleibt das Hinterrad bei einer starken Bremsung und Gewichtsverlagerung auf das Vorderrad, länger auf dem Boden. Die Vordergabel aus Aluminium, von Marzocchi gefertigt, ist ebenfalls einstellbar. Die langjährige Zusammenarbeit mit dem Hersteller der Aufhängung stimmt MV Agusta zuversichtlich was die Zukunft des Zulieferers anbelangt.