Die Sitzposition auf der sehr kompakten Ninja ist gut, im Gegensatz zum alten Modell, auf dem die Beine, ob gewollt oder nicht, gespreizt werden mussten. Man kann sich ohne Einschränkungen seitlich bewegen und – kleine Überraschung – die Lenkstützen sind genügend weit auseinander, nach meinem Dafürhalten könnten diese sogar noch etwas weiter aussen platziert sein, aber es ist beinahe optimal. Joey regelt gemäss meinen Wünschen die Stellung der Bremshebel, damit meine - auf verschiedenen Rennpisten dieser Welt – lädierten Bandscheiben nicht noch mehr leiden müssen. Die Windschutzscheibe schein mir genügend hoch, um vor dem Fahrtwind zu schützen.
Nun bin ich bereit mich in das Abenteuer zu stürzen. Beim starten der Motors bin ich jedoch etwas enttäuscht da der Geräuschpegel wegen der neuen Euro4-Normen überhaupt nicht den Erwartungen entspricht. Die Motorradproduzenten haben deswegen sicher schlaflose Nächte. Die erste Runde auf dem Sepang-Kurs wird unter Führung vom Meister Tom Sykes gemacht. Eine etwas kurze Einführung, da es in dieser kurzen Zeit fast unmöglich ist, sich die Linienführung einzuprägen.
Sich gleichzeitig den Rundkurs von Sepang einzuprägen und das neue Motorrad – das teuflisch gut ist – kennenzulernen, ist keine einfache Sache. Der Unterschied zwischen dem, was man am Fernsehen sieht und der Wirklichkeit ist riesig. Die Pistenbreite ist enorm und sie bietet unzählige Möglichkeiten der Linienführung. Das Besondere an diesem Rundkurs sind die langgezogenen schnellen, ja sehr schnellen Kurven, unterbrochen von Ecken, in denen man in den ersten Gang zurückschalten muss.
Die Ninja hilft dabei enorm mit ihrem leichten Handling. Matsuda San (der Projektverantwortliche des Motorrades) hatte also doch Recht zu behaupten, dass sein neues Kind ausserordentlich leicht zu handhaben ist. Sogar in der Schräglage kann normal gelenkt, gebremst oder beschleunigt werden und dies ohne das Gleichgewicht der Maschine zu beeinträchtigen. Sich in die Schräglage zu bringen, geht sehr leicht auch wenn es bis zur letzten Rille etwas Beharrlichkeit braucht, was aber eher an der Reifenwahl liegen dürfte.
Die ZX-10R erlaubt, ohne größere Anstrengung des Piloten, extrem schnelle Richtungswechsel. Die erste Kurvenschikane nach der Boxengeraden – richtiggehend eine Falle, in der es sehr schwierig ist, genügend Geschwindigkeit zu behalten – benötigt zwei schnelle Richtungsänderungen. Die Kawa schwingt sich mit einer erstaunlichen Leichtigkeit von einer Schräglage in die andere. Am Ende des Tages werden es die kleinen Beinmuskeln danken.
Die folgende langgezogene Rechtskurve, bei der bis zum Unterbrecher des 4. Ganges hochgedreht werden muss, zeigt wie Stabil die Ninja ist. Sie wird vom schnellen Hochschalten durch die Gänge überhaupt nicht beeinträchtigt. Die Federung dämpft die Belastung und die Elektronik verhindert das Wegrutschen des Hinterrades.
Nun kommt der Moment des Bremsens. Die Rückmeldung auf den rechten Bremshebel gibt ein gutes Gefühl. Während der Präsentation wurde uns erklärt, dass jeder Brembo-Bremszylinder kontrolliert, dass kein toter Raum zwischen Bremsblock und –scheibe entstehen kann. Wie ich das beurteilen kann, ist dies korrekt. Die Bremsreaktion ist unmittelbar und erlaubt mit Leichtigkeit die Anpassung der unglaublichen Bremsleistung. Dank den Druckschläuchen aus dem Flugzeugbau bleibt die Bremsleistung immer stabil ohne während der gesamten Renntages am Bremshebel Korrekturen vorzunehmen.
Die Vordergabel fängt die Bremsungen ausgezeichnet auf. Bei der extremsten Bremsung auf der Sepang-Piste, wo vor einer Links-Haarnadel vom 4. in den 1. Gang zurückgeschaltet werden muss, hinkt sie in keinem Moment nach und erlaubt mir die Einfahrt in die Kurve noch auf der Bremse, das erneute Beschleunigen bleibt ohne Nebenreaktion. Während der Beschleunigung, bei der die Gabel voll ausgefahren ist, erlaubt sie eine sehr genaue Lenkung.
Der Lenkungsdämpfer von Öhlins erfüllt voll und ganz seine Dienste – ich hatte nie das Gefühl, die Kontrolle über die Lenkung abzugeben. Ich spürte nur während extremen Beschleunigungen aus der Schräglage eine leichte Seitenbewegung.
Trotz der 200 PS ist der Motor leicht zu handhaben, ist aber weniger explosiv als derjenige der BMW S1000RR. Als Negativ habe ich das Loch knapp unter 5-6000 U/Min empfunden. Man sollte aber nicht vergessen, dass der Test auf der Sepang-Rennstrecke und nicht auf einer normalen Straße stattgefunden hat. Oberhalb dieser Grenze zeigt die Drehzahlüberwachung durch rotes Blinken sehr schnell an, dass man den Gang wechseln sollte. Es scheint mir, dass die neue Gangauslegung mit einem sehr nahen 2. und 3. Gang, die Motorenleistung während dem leichten Hochschalten mit dem Shifter nicht beeinträchtigt. Hingegen würde es nicht Schaden einen Zahn des Ritzels der Kawa wegzulassen. Ich konnte auf der langen Geraden in Sepang die maximale Leistung im 6. Gang nicht abrufen.
Die Windschutzscheibe gibt genügend Schutz um meine 172cm abzudecken. Die beiden Lufteinlässe, die den Luftdruck reduzieren helfen, sind weiter unten angebracht. Als Konsequenz gibt es keine Luftturbulenzen, die den Helm bewegen könnten. Die gesamte Linie des Bikes ähnelt gewollter Massen der älteren Version, die schon sehr stark als Rennmaschine zu erkennen war.
Die Handhabung der Motorenbremse ist verblüffend. Man hat nicht den Eindruck auf einer 1000ccm zu sitzen. Es ist möglich gleich 2 oder sogar 3 Gänge zurückzuschalten, ohne dass das Hinterrad blockiert oder die Federung sich negativ bemerkbar macht. Die neue Kupplung verrichtet ihren Dienst ohne Probleme und erlaubt auch das Schleifenlassen des Hinterrades.
Ein tropisches Gewitter beendete unseren Testtag frühzeitig und lies mir nicht mehr die Gelegenheit, die Winter-Test-Version der ZX-10R zu fahren. Diese ist mit einem speziellen Renn-Kit ausgerüstet; einer erneuerten Elektronik, einer kompletten Akrapovic-Linie und einem „up and down“ Shifter. Die dabei angegebene Leistung von 210 PS ist, gemäß meinen Kollegen, die sie vor dem Wolkenbruch ausprobieren konnten, noch einfacher zu handhaben und nähert sich stark einer richtigen STK1000. Kawasaki ließ uns wissen, dass während den Testtagen in Portimao, die mit einem Renn-Kit ausgerüstete ZX-10R nach nur 10 Runden und bei winterlichen Verhältnissen, sich schon um 1/10 Sekunde an die Zeit der 2014er STK1000 angenähert hatte. Ein richtiges Versprechen für die kommende Rennsaison.
Seit der Rückkehr in die WSBK-Rennserie im 2011 hat Kawasaki 2 WM-Titel, 40 Rennsiege, 32 Super-Pole und 39 schnellste Runden gesammelt. Zweifellos ist die Hoffnung von Matsuda San, dass die neue Version der ZX-10R nicht nur die WSBK, sondern auch die nationalen Meisterschaften dominieren wird, nicht unbegründet.
Auf Grund der angegebenen Preise von CHF 18'900 für die Race Team Replica und sogar nur CHF 18'600 für die Graue – nur die Winter-Test-Edition (ausgerüstet mit einer Auspuffanlage des slowenischen Zauberers Akrapovic) fällt mit CHF 20'300 etwas teurer aus – könnte der Wunsch Wirklichkeit werden. Der Preis des offiziellen Race-Kits ist noch nicht bekannt gegeben worden.
Die Philosophie, zuerst eine Maschine für die Rennstrecke – vor Allem für die WSBK – zu bauen, um sie anschließend für die Strasse anzupassen, ist sicherlich nicht falsch, denn heutzutage sind die Käufer der Sportrenner meistens auch – gelegentlich oder regelmäßig – auf einer Rennstreck anzutreffen. Die zukünftigen Käufer der ZX-10R werden sich über ein leistungsstarkes, agiles Motorrad freuen, das ausserdem verblüffend leicht zu steuern ist.