
Das Konzept der Retrobikes wurde von Yamaha, seit der Einführung der ersten V-Max im Jahre 2010, stark vorangetrieben. Die Japaner sind in diesem Segment, der einfach zu fahrenden Motorräder, einer der am meisten beachteten Teilnehmer. Die Reihe läuft unter dem Namen „Faster Sons“ (schnellere Söhne), eine Ehrbezeichnung für diese alten Renner. Dabei wird versucht, die alte Philosophie mit den neuen technischen Möglichkeiten zu verbinden, um den Spaß am Fahren und die Effizienz zu erhöhen.
Die XSR 700 gliedert sich in dieses neue Yamaha Segment. Es wird versucht, die persönlichen Anpassungen und das einfache Handling mit der Leistung des Althergebrachten zu verbinden. Es wird erwartet, dass dieses Angebot mit weiteren Neuauflagen erweitert wird. Das ganze wird durch eine Auswahl von dazu passender Kleidung, die sowohl auf dem Motorrad als auch in der Freizeit, getragen werden kann, erweitert.
Das Konzept des neuen Models könnte nicht einfacher sein. Bei der Vorstellung der XVS 950 in Kalifornien, besuchte das Entwicklungsteam Shinya Kimura, Leiter von Chabott Engineering, um eine erste Zeichnung des einfach zu fahrenden Mittelklasse Motorrades vorzustellen. Dabei sollten die Möglichkeiten der persönlichen Anpassung sowie die Modernisierung des alten Konzeptes im Vordergrund stehen. Das damalige Projekt weckte sein Interesse, worauf er auf Grund einer MT-07, das erste Stück seiner Vision, zeigt.
Während dieser Zeit im Januar 2014 arbeiten die japanischen Ingenieure an einem ersten Konzept eines kleinen Roadsters. Weniger als zwei Jahre später wird die XSR 700 als eine bezahl-, anpassbare und beliebte Plattform, in einem von europäischen Marken dominierten Markt, präsentiert. Ausgestattet mit einem ausgezeichneten Motor und mit wenigen notwendigen Anpassungen beim Fahrwerk überzeugt mich die XSR 700 voll und ganz und bin gespannt auf die zu erwartenden anderen Familienmitglieder der „Faster Sons“-Reihe.
Die Verwandtschaft mit dem MT Roadster ist offensichtlich, die Unterschiede sind aber trotzdem sehr schnell ersichtlich. Der große Scheinwerfer, inspiriert von einem alten Fahrrad des Chefzeichners, hat eine Form einer abgeschnittenen Granate. Das LED-Rücklicht wurde einfachheitshalber von der XVS950 übernommen und thront auf einem riesigen Schutzblech, das danach verlangt abmontiert zu werden. Glücklicherweise hat Yamaha daran gedacht, dass der Besitzer den hinteren Teil absägen könnte und hat ihn nur angeschraubt, damit das Fahrwerk nicht beschädigt werden muss, um das Ding loszuwerden.
Der Benzintank gibt es in „gebürstetem Alu“ oder in Flaschengrün. Es handelt sich dabei um eine bewegliche Alu-Abdeckung, die einen traditionellen Stahltank abdeckt. Nicht nötig den ganzen Tank zum Neubemalen zu schicken falls es einen Lackschaden geben würde. Die drei Teile können einzeln abmontiert werden, damit ihr Karosserie-Spengler seine Arbeit erledigen kann. Der Sitz mit einer neuen Form ist bei der grünen XSR in einem schönen Braun gehalten, beim rohen Alu-Model ist er einfach schwarz.
Die knappen Bordinstrumente sind der XVS 950 nachempfunden. Elegant und komplett, hätte ich sie etwas weitere vorne platziert, damit ich die Augen nicht jedes Mal nach unten richten muss, um sie abzulesen. Das sich spiegelnde Abdeckglas könnte bei direktem Sonnenschein schwierig lesbar sein, was in der Praxis noch kontrolliert werden sollte. Der Lenker wurde speziell für die neue Serie konzipiert und präsentiert sich etwas breiter. Die Platzierung der Hände ist etwas weiter hinten, während die Sitzstellung etwas höher und etwas weiter vorne als bei MT-07 ist. Man sitzt in einer natürlichen Stellung, hat eine grosse Bewegungsfreiheit, was erlaubt, dass das Motorrad ohne größere Anstrengung kontrolliert werden kann.
Die technischen Voraussetzungen sind mehr oder weniger gleich wie diese des Roadsters. Die Leistung und der Drehmoment sind identisch, das Betriebsgewicht steigt leicht von 164 auf kaum merkliche 168 Kilo. Ein neuer Pirelli Reifen wird zur ersten Wahl des XSR 700; der Phantom SportComp ist eine Verbindung zwischen Griffigkeit, Langlebigkeit und Retrodesign.
Auf den sardischen Straßen, die zwischen löcherigem und rutschigem Belag abwechseln, nicht selten sogar beides, verhält sich der XSR exemplarisch. Der Zweizylinder mit 689 ccm entwickelt 74,8 PS bewegt das Motorrad mit Leichtigkeit und das bereits bei tiefer Geschwindigkeit. Die gute Handhabung der Steuerung erleichtert die Manöver. In den engen Haarnadeln schaltet man zwischen dem 2. Und 3. Gang hin und her um die kleine Yamaha von einer Kurve zur nächsten zu bringen.
Der Motor antwortet auf jede Aufforderung relativ schnell sofern die Drehzahl, bei für einen Zweizylinder erstaunlichen 5'000, gehalten wird. Die Spitze der Drehmoments-Kurve ist dabei nicht weit von einem Wert von 68 Nm bei 6'500 U/min entfernt.
Für die schnelleren Abschnitte drängt sich der 3. und 4. Gang auf. Überraschenderweise kann man mit Schräglagen in den Kurven der XSR 700 einen fast schon sportlichen Rhythmus aufdrängen. Die Bremsleistung enttäuscht ebenfalls nicht; als wir über die sardischen Landstraßen räuberten, hielten sie, trotz enormer Belastung, ihr Versprechen. Obwohl die Erscheinung dieses Motorrads eher an ein normales Straßenmodel erinnert, ist eine sportliche Gangart durchaus möglich.
Auf den größeren Überlandstraßen fährt man, wegen der offenen Form, voll im Wind. Trotzdem bleibt die Maschine auch bei rasanterer Gangart stabil; die ersten Wackler gibt erst weit jenseits der gesetzlichen Geschwindigkeitslimiten. Das Motorengeräusch des Reihenzweizylnders ist nicht bemerkenswert; nur bei der Durchfahrt mit mittlerer Geschwindigkeit vor einer Mauer, wird man mit einem melodiösem Echo belohnt.
Die Federung hob sich durch eine bemerkenswerte Leistung vom Durchschnitt ab und dies obwohl der Zustand der Strassen eher miserabel war. Sie ist genügend hart eingestellt, dass man nicht den Eindruck hat, bei einer Schnellbremsung im Boden zu versinken. Hingegen habe ich einen Vorbehalt beim Hinterrad oder der hinteren Dämpfung, die mir mehrmals den falschen Eindruck gegeben hat, dass das Hinterrad keine Bodenhaftung mehr hatte, obwohl dies nicht der Fall war. Der Schreck fuhr mir beim Fahren auf einer engen Straße mehrere Male in die Glieder.
Das Zusammenspiel zwischen Stossdämpfern und Sitzbank ist genügend gut um komfortabel zu fahren. Bei längerem Fahrten erweist sich die Sitzbank hingegen eher als hart und die beiden Nähte hinterlassen einen bleibenden Eindruck am Hinterteil. Glücklicherweise bietet Yamaha als Option eine weichere Sitzbank an, die an das heimische Sofa erinnert.
Da wir bei den Optionen sind, sollte man die über 40 Referenzpunkte des Yamaha-Kataloges für die Individualisierung der XSR 700 nicht vergessen. Einen speziellen Internetzugang gibt ihnen die Möglichkeit, ihr Motorrad in einem „Underground 2“-Stil zu konfigurieren. Falls sich ihre Traumausstattung für die XSR nicht darin befindet, gibt es immer noch die Möglichkeit auf die „Yard Built“-Teilnehmer zu warten, die jede mögliche Variation über kurz oder lang anbieten werden.
Der Test dieses Motorrades hat mich mehrheitlich überzeugt. Natürlich hat die Yamaha nicht das Charisma der italienischen Produzenten, hingegen überzeugt die XSR durch das einfache Handling, die Geräuscharmut, der willige und solide Motor und die Möglichkeit das Motorrad mit einer quasi sportlichen Fahrweise an seine Grenzen zu drängen. In meinem Hinterkopf habe ich zur Verschönerung des Looks einige Ideen. Um so mehr bleibt nach dem Kauf bei einem Preis von wenig mehr als Fr. 8'000 genug übrig, um sich eine „Customisation“ zu leisten.