
Mit erst zwei Jahren auf dem Zähler ersetzt Ducati die 899 Panigale, die damals die 848 ablöste. Eine sehr kurze Zeit, um einen erneuten Wechsel des Hubraums und damit der Bezeichnung zu rechtfertigen, umso mehr als die «kleine» Panigale gute Verkaufsergebnisse erreichte. Erstaunlich! Bei den Dinosauriern hat ein vorbeiziehender Meteorit die Auslöschung provoziert und die folgende Eiszeit hat zu einer massiven Wanderung von allem, was auf dieser Erde atmete, geführt. Bei den Motorrädern wird die Einführung der Euro4-Normen die Produktionspaletten aller Produzenten auf den Kopf stellen.
Um den neuen Geräuschnormen ohne Leistungseinbussen zu entsprechen, musste die 899 einem beschleunigten Änderungsprozess unterzogen werden. Man gibt 57 cm3 dazu um neu 955 anzuzeigen (suchen sie keinen Bezug zur neuen Bezeichnung, das Marketing hat seine Gründe, welche die Gründe missachten) und montiert eine unmögliche Auspuffanlage, welche die schöne gerade Liniengebung total verdirbt. Ästhetik ist Ansichtssache, besitzt man aber den schönsten Hintern der weltweiten Motorradproduktion, kann man keine Komplimente erwarten, wenn man 7 Kilos auf einen Schlag zunimmt und dies vor Allem bei dem Teil der Anatomie, die von der Mehrheit des männlichen Geschlechts, so begehrt wird. Die Hersteller in Borgo Panigale hatten keine Wahl. Ohne diesen Blinddarm wären die neuen Geräuschnormen - gültig ab 2017 - nie und nimmer erreichbar gewesen. Die gleichen Änderungen werden leider auch bei der 1299 erwartet, die jedoch für 2016 noch bei Euro3-Norm bleibt. Das lässt uns noch etwas Zeit um sich daran zu gewöhnen.
Nachdem die Designer von den Ingenieuren getröstet waren, machten sie sich an die Arbeit um wenigstens den Schaden zu begrenzen. Dem Motor wurde dabei die grösste Aufmerksamkeit geschenkt. Ein zusätzlicher Hub, aber auch der Einbau eines zweiten Paares Einspritzdüsen, die kurz vor 9000 U/Min einsetzen, eine Abgasableitung mit einem Durchmesser von 60 mm, einem „Hochleistungs“-Luftfilter und einer Anti-Hobbing Kupplung. Um Platz für die neuen Schalldämpfer zu schaffen, musste beim Chassis die Hinterradschwinge neu gezeichnet werden; um die Beweglichkeit zu begünstigen wurde der Drehpunkt um 4 mm abgesenkt und zur Erhöhung der Stabilität der Achsabstand leicht erweitert. Neben der geänderten Auspuffanlage erhält die neue Panigale den größeren Windschutz der 1299. Zum Schluss verspricht die 959 157 PS und einen Drehmoment von 197.4 Nm, was trotz den zusätzlichen Kilos eine Steigerung von 2 % des Verhältnisses Gewicht/Kraftentwicklung und plus 4 % beim Verhältnis Drehmoment/Kraftentwicklung, ergibt. Wie sieht das Resultat auf der Rennpiste aus?
Die Motoren sind gestartet, die Mechaniker entfernen den Wärmeschutz, der für die Gelegenheit montierten Supercorsa SC2 (im Original hat die 959 die Pirelli Diablo Rosso Corsa montiert) und unter strahlendem Sonnenschein erwartet uns die Rennstrecke Ricardo Tormo in Valencia.
Welcher Genuss! Auch mit der leicht erzwungenen (für eine Rennmaschine natürlichen) Sitzposition findet man die alte 899 wieder. Der Halt der Griffe ist maßvoll, die Fußrasten sind weit genug unten damit die Beine nicht zu stark gebogen werden müssen und das ganze stellt sich ziemlich natürlich dar. Die Abgasrohre stören den rechten Fersen nicht, was bei Ducat’ nicht selbstverständlich ist.
Die Instrumentenkonsole hat nicht die gleiche Farbe wie bei der 1299, ist aber angenehm und leicht lesbar, solange man nicht die winzigen Skaleneinteilungen des Drehzahlmessers zu entziffern versucht. Glücklicherweise ist der „shift-light“ außerordentlich effektiv.
Während der Angewöhnungszeit wurde uns von den Italienern die „Sport“-Einstellung vorgegeben. Mit einer linearen Antwort des Gasgriffes und klar definierten Fahrhilfen: höchste Stufe bei der Motorbremse, Antriebskontrolle auf 5 und ABS auf 3. Eine Einstellung, die normalerweise für die Strasse vorgesehen ist, da der Belag an diesem Novembermorgen aber noch kalt ist, nicht die schlechteste Lösung. Und, man wird von der Leichtigkeit des Handlings überrascht.
Das Betätigen der Kupplung benötigt keinen Kraftaufwand, die „ride-by-wire“ Einstellung ist vorhersehbar und der Motor reagiert eher zahm. Bei mittlerer Motorenleistung reagiert sie schneller als die 899, es ist aber auch etwas reizlos, so weit, dass man vom plötzlichen Einsetzen – glücklicherweise nicht zu brutal - des Unterbrechers überrascht wird. Die Mühle gibt sich träge und es scheint als ob sie sich sträuben würde die rote Zone erreichen zu wollen. Ein Wort über die Geräuschkulisse: als Fahrer sehr angenehm, am Rande der Piste eher diskret; die Schallmessung am Pistenrand wird sicher kein Problem mehr sein. Leider löst dies keinen Rückschauer mehr aus.
Das Einschwenken in die Schräglage passiert ganz natürlich, die 959 reagiert neutral. Die Maschine ist stabil und genau, nicht ungestüm und dies trotz den zusätzlichen Kubikzentimetern. Man fühlt sich sicher, da auch das DTC und das ABS für einen Rundkurs etwas zu gemütvoll eingestellt sind. Die Bremsleistung beim „Einführungsrythmus“ ist ideal, gibt ausgezeichnete Rückmeldungen und ist genügend stark.
Für die zweite Runde ändern wir die Spielregeln etwas: Rennmodus, mit einer viel aggressiveren Einspritzung, der Motorbremse auf 2, DTC auf 3 und ABS auf 1.
Schon bei der ersten Beschleunigung kommt das richtige Renngefühl mit einer lebhafteren Reaktion des Gasgriffes und einer längeren Auslegung der Kraftübertragung. Die erwarteten Pferde sind endlich angekommen. Die Gangschaltung ist ausgezeichnet, die Motorenbremse weniger präsent, was das Kurvenfahren erleichtert. Die 959 verlangt aber weiterhin eine starke Hand, da sie sich in der Kurvenmitte von der vorgegebenen Bahn verabschieden will. Nichts zu sagen über die Motorik. Die Bremsleistung, schon die Achillesferse der 899, trübt das Erlebnis. So bald man den Rhythmus erhöht, fehlt die Leistung und als bei gutem Gefühl, genügend gedrosselt worden ist, muss der Bremshebel richtiggehend gezwungen werden um die Geschwindigkeit runterzubringen.
Obwohl sie zwischen 7’000 und 11’000 U/Min stärker ist als die 899 scheint der Charakter des neuen Zweizylinders weniger aufsehenerregend. Trotz besserer Leistungsfähigkeit und zusätzlichen Watts wird man das Gefühl einer gewissen Gleichförmigkeit nicht los. Die ausgezeichnete Federung unterstützt die Gewichtsverlagerungen perfekt. Der etwas erhöhte Frontwindschutz verbessert die Lage erheblich, auch wenn man sich wie ein Wurm winden muss, wenn man wirklich davon profitieren will.
Am Nachmittag entschließe ich mich, mit den verschiedenen Einstellungen zu spielen. Ich versuche die Ducat’ etwas zahmer einzustellen. Ich nehme mir die Zeit, den Seitendämpfer zu verstärken, die Hydraulik um einige Klicks zurückzunehmen und die verschiedenen Fahrhilfen ganz abzustellen. Zurück auf der Piste habe ich das Gefühl, dass die von mir in wenigen Sekunden gewählten Einstellungen, Wirkung zeigen.
Damit bewegt sich die Panigale so wie ich es will. Jetzt erfreue ich mich an der guten Sitzposition, trotzdem überzeugt mich der Charakter der Mechanik nicht. Zum Verständnis, es fehlt nicht an der Leistung, am Ende der Geraden erreicht man fast 270 km/h, die Maschine biegt mit Leichtigkeit aus der Kurve, sofern die Drehzahl bei über 7000 U/Min gehalten wird. Sie ist zu gleichförmig geschliffen um das wirkliche Motorradgefühl zu erreichen, die 959 ist genau zwischen den Welten gelandet. Bei der Motorkonzeption fehlt es an der Behändigkeit wie bei der Triumph Daytona 675 R, der außerordentlichen RSV4 oder der R1.